Aufgrund ihres breiten symptomatischen Wirkprofils (mehr erfahren: Einsatz von Cannabis in der Medizin) finden Cannabisarzneimittel im medizinischen Alltag Anwendung zur Kontrolle und Linderung unterschiedlicher – gerade auch therapieresistenter – Beschwerden. So stellen sie für erkrankte Menschen insbesondere bei Therapieversagen oder Kontraindikation konventioneller Therapieoptionen einen Ausweg dar. Cannabis kann als Alternative zu herkömmlichen Arzneimitteln auch eine Dosisreduktion oder das vollständige Absetzen von beispielsweise Schmerztherapeutika ermöglichen.
Die Studienlage zu medizinischem Cannabis lässt jedoch noch keine abschließende Beurteilung des Wirkungspotenzials zu. Zurückzuführen ist dies beispielsweise auf relativ kleine Probanden:innenkollektiv und/oder kurze Untersuchungszeiträume. Die Schwankungsbreite der messbaren Ergebnisse sowohl innerhalb von Studien als auch über mehrere Studien hinweg ist hoch. Es gibt Grund zu der Annahme, dass diese heterogenen Ergebnisse teils auch darauf bezogen sind, dass manche Menschen Non-Responder sind.
Informationen zur Verordnung
Die Verordnung von Cannabistherapeutika erfolgt über eine Betäubungsmittelverordnung (BtM-Verordnung) gemäß § 9 Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) und muss folgende Angaben umfassen:
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Vorname, Nachname und Anschrift des:der Patient:in
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Ausstellungsdatum
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eindeutige Arzneimittelbezeichnung, z. B. Cannabis Flos Stratus Indica
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Verschreibungsmenge in Gramm, Milliliter oder Stückzahl, z. B. 30 Gramm
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Gebrauchsanweisung mit Einzel- und Tagesdosierung oder Hinweis auf der Patientin/dem Patienten vorgelegte schriftliche Anweisung, z. B. 4 x täglich 0,25 g
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Angabe der Darreichungsform, z. B. verdampfen und inhalieren
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Abgabenformular, z. B. unzerkleinert (bei Cannabisblüten kann alternativ die Weiterverarbeitung z. B. nach NRF 22.12. angeordnet werden)
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Name, Berufsbezeichnung, Anschrift und Telefonnummer der Ärztin/des Arztes
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Unterschrift des Arztes: Cannabistherapeutika
Kostenübernahme für medizinisches Cannabis
Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung sind Cannabistherapeutika dann erstattungsfähig, wenn eine allgemein anerkannte und dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht verfügbar ist oder nach einer begründeten Feststellung der geeigneten behandelnden Mediziner:innen unter Berücksichtigung der zu erwartenden Nebenwirkungen sowie des Erkrankungsbildes der zu behandelnden Person nicht IST. Für eine Bewilligung der Kostenerstattung muss somit nach § 31 Abs. 6 SGB V eine nachweislich schwerwiegende Krankheit vorliegt, und es müssen alle konventionellen Therapieoptionen erschöpft bzw. kontraindiziert sein.
Gesetzliche Krankenversicherung
Den Antrag auf Kostenübernahme stellen Patient:innen formlos direkt an ihre gesetzliche Krankenversicherung vor Therapiebeginn und vor der Verordnung. Behandelnde Mediziner:innen verfassen eine antragsbegleitende Stellungnahme, die darlegt, warum es sich um eine schwerwiegende Erkrankung handelt, dass keine anderen Therapieoptionen bestehen und inwiefern eine Behandlung mit Cannabisarzneimitteln Erfolg verspricht.
In der Vergangenheit wurden ca. 60 Prozent der Anträge von den gesetzlichen Krankenversicherungen genehmigt. Verweise waren häufig durch fehlerhafte oder unvollständige Anträge begründet. Erstverschreibende Ärzte sind dazu verpflichtet, an der nicht interventionellen Begleitstudie des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) teilzunehmen. Das BfArM nutzt die entstehenden Daten anonymisiert zur wissenschaftlichen Auswertung und zur Evaluation der Erstattungsfähigkeit von Cannabistherapeutika durch gesetzliche Krankenversicherungen. Daten zur Begleiterhebung werden unter www.begleiterhebung.de online ein Jahr nach Therapiebeginn oder, wenn die Therapie kürzer als ein Jahr andauert, nach Beendigung der Therapie dokumentiert. Der:die Ärzt:in muss den:die Patient:in zu Beginn der Therapie über diesen Vorgang und die anonymisierte Datenübermittlung informieren, das BfArM stellt dafür ein Patient:innenschreiben zur Verfügung.
Private Krankenversicherung und Beihilfestellen
Private Krankenversicherungen übernehmen die Kosten für Cannabisarzneimittel, wenn diese medizinisch notwendig und ärztlich verordnet sind. Auch private Krankenversicherungen und Beihilfestellen gelten sich in der Regel bei der Bewertung von Anträgen am Gesetzestext aus dem SGB V. Vor Therapiebeginn werden vergleichbare Anforderungen an Patientin/Patient und Ärztin/Arzt gestellt.
Selbstzahler
Sollte eine Kostenübernahme durch die Krankenversicherung nicht in Frage kommen und sofern eine Betäubungsmittelgesetz-konforme Indikation nach § 13 BtMG vorliegt, kann medizinisches Cannabis auch über Privatrezepte und auf Rechnung der zu behandelnden Person verordnet werden. Dabei ist zu beachten, dass auch hier eine gewisse Erkrankungsschwere und Therapieresistenz dokumentiert sein sollte.
Indikationen und Anwendungsbereiche
Chronische und neuropathische Schmerzen können durch das analgetische und antinozizeptive Potenzial von Cannabisarzneimitteln gelindert werden. Dies wurde beispielsweise bei Diabetes- und HIV-assoziierten oder chemotherapieinduzierten Schmerzen sowie Migräne, Clusterkopfschmerz und Tumorschmerzen beobachtet. Zusätzlich can Angst oder Schlafstörungen als Begleitsymptome von chronischen und neuropathischen Schmerzen verringert werden.
Übelkeit und Erbrechen insbesondere in Folge einer Chemotherapie oder bei an AIDS erkrankten Patientinnen/Patienten können durch THC gemildert werden.
Spastizität , gerade bei Multipler Sklerose , kann durch cannabishaltige Arzneimittel gelindert werden, dadurch Spastiken reduziert und in ihrer Häufigkeit verringert werden. Weiterhin wurden in der Vergangenheit positive Wirkungen auf mit Multipler Sklerose assoziierte zentralnervöse Schmerzen erzielt.
Anorexie und Kachexie sowie dadurch bedingter Gewichtsverlust , beispielsweise infolge einer HIV-Erkrankung oder von Krebs, können durch den appetitanregenden Effekt von Cannabinoiden gelindert werden.
Auch für weitere Erkrankungen kann teilweise eine Symptomlinderung erreicht werden. Dazu gehören:
Depressionen
ADHS
Epilepsie
Schizophrenie
Morbus Parkinson
Tourette-Syndrom
Schlafstörungen
Dosierung und Einnahme
Bei der Dosierung der cannabishaltigen Arzneimittel ist weniger die Indikation entscheidend als der jeweilige Therapiebedarf der zu behandelnden Person. Cannabishaltige Arzneimittel sollten (teils über einen Zeitraum von mehreren Wochen) eingeschlichen werden, um die individuelle Dosis zu ermitteln und das Risiko von unerwünschten Wirkungen und Nebenwirkungen zu reduzieren. Die Dosierung und die am besten geeignete Applikationsform sind patienten:innenabhängig. Unter Umständen ist es empfehlenswert, unterschiedliche Applikationsformen auszutesten, um das Optimum für Patientinnen zu erreichen. Sollten unerwünschte Nebenwirkungen auftreten, empfiehlt es sich, die Dosis wieder leicht zu reduzieren.
Dosierung von Cannabisblüten
Bei unerfahrenen Patienten bietet es sich an, mit einer Tagesdosis von 20 bis 50 mg Cannabisblüte zu beginnen (bei Varietäten mit THC-Gehalt kann mit minimal bis zu 100 mg begonnen werden). Diese Dosis kann dann in 10-mg-Schritten gesteigert werden, bis die gewünschten Effekte eintreten, oder bei Auftreten von Nebenwirkungen um jeweils 10 mg erhöht werden.
Antworten auf häufige Patienten
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Darf man während einer Cannabistherapie Auto fahren?Bei der ärztlich verordneten und bestimmungsgemäßen Anwendung von Cannabis ist es keine dem Straßenverkehrsgesetz widersprechende Ordnungswidrigkeit, wenn sich THC im Blut nachweisen lässt. Da durch THC die Leistungsfähigkeit und Reaktionsschnelle beeinflusst werden können, kann jedoch die Fahreignung eingeschränkt sein. Aus diesem Grund muss der:die Ärzt:in beurteilen, ob ein:e Patient:in unter Behandlung mit Cannabistherapeutika fahrtüchtig ist. Patient:innen sind dafür verantwortlich, vor jedem Fahrtantritt die eigene Reaktionsfähigkeit zu beurteilen und bei Schwindel, Benommenheit, Schläfrigkeit oder jeglichen Sinneseinschränkungen nicht Auto zu fahren.
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Ist man dann ständig „hoch“?Cannabis wird für den medizinischen Einsatz so dosiert, dass ein Rauschzustand in aller Regel vermieden werden kann. Durch die geringe Anfangsdosis gewöhnen sich Patient:innen langsam an die Behandlung und sind so in aller Regel weder im Denken noch im Handeln eingeschränkt. Tritt regelmäßig ein Rauschzustand ein, sollte die korrekte Dosiseinstellung durch die behandelnde Ärztin/den behandelnden Arzt überprüft werden.
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Muss ich Cannabis rauchen, um von der Therapie zu profitieren?Das Rauchen oder das Verdampfen von Cannabisblüten stellen mögliche Applikationswege dar. Darüber hinaus kann Cannabis für medizinische Zwecke in verschiedenen Formen (Dronabinol-Kapseln, ölige Dronabinol-Tropfen, ölige Cannabisölharz-Lösung) insbesondere oral und peroral konsumiert werden. Auch Cannabisblüten können nach der Aufbereitung peroral eingenommen werden. Die Behandlerin/der Behandler und die zu behandelnde Person entscheiden gemeinsam, welche Darreichungsform zum Einstieg als geeignet erscheint. Anschließend müssen teilweise unterschiedliche Applikationsformen ausgetestet werden, um für eine: Patient:in sterben optimale Darreichung zu identifizieren.
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Verändert die Behandlung mit medizinischem Cannabis das Gehirn oder die Persönlichkeit?Es liegen aktuell noch kaum valide Forschungsergebnisse zum Langzeitkonsum von medizinischem Cannabis vor. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat in seinem wissenschaftlichen Bericht „Cannabis: Potential und Risiken. Eine wissenschaftliche Analyse (CaPRis)“ aus dem Jahr 2015 eine Bewertung der Nebenwirkungen von Cannabisarzneimitteln vorgenommen. Nach Analyse des BMG kann es beim Einsatz von medizinischem Cannabis gehäuft zu Nebenwirkungen kommen, diese wurden jedoch als vorübergehend und nicht schwerwiegend betroffen.
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Kann man Cannabistherapeutika mit in den Urlaub nehmen?Innerhalb des Schengen-Raums können alle ärztlich verordneten Betäubungsmittel mitgenommen werden, Patient:innen benötigt lediglich eine ärztliche Bescheinigung, die außerdem von der obersten Landesgesundheitsbehörde bestätigt sein muss. Die Bescheinigung gilt einen Monat. Außerhalb des Schengen-Raums sollten sich Patienten:innen über die jeweilige nationale Rechtslage – auch in Transitländern inklusive Transitflughäfen! – informieren.